Während in Deutschland die Fallzahlen der mit dem Coronavirus Infizierten rasant steigen, nimmt die Zahl in Südkorea seit Tagen rapide ab – und das, ganz ohne die Sperrung ganzer Städte und Reisebeschränkungen. Das hat einen entscheidenden Grund.
Weltweit nehmen die Fälle der Lungenkrankheit Covid-19 sprunghaft zu, Epizentrum der Pandemie ist dabei Europa. In Deutschland stieg die Zahl der mit dem neuartigen Corona-19-Virus Infizierten laut dem Corona Resource Center der US-amerikanischen Johns Hopkins University bis zum 18. März auf 12.327, das sind 2960 mehr als noch am Vortag. Zwei der Erkrankten starben an diesem Tag.
Südkorea führte ausgedehntes Testprogramm durch
Dabei sanken die Fallzahlen ganz ohne die Sperrung ganzer Städte und Reisebeschränkungen. „Südkorea ist eine demokratische Republik, wir glauben, Abriegelungen sind keine vernünftige Wahl“, sagte der Infektiologe Kim Woo-Joo von der Korea University in Seoul dem Wissenschaftsjournal „Science“.
Der gravierende Unterschied hat einen Grund: Südkorea führte „das weltweit ausgedehnteste und bestorganisierte Testprogramm durch, verbunden mit starken Anstrengungen, infizierte Personen zu isolieren und auch ihre Kontakte aufzuspüren und unter Quarantäne zu stellen“, berichtet „Science“.
Differenziertes Bewegungsprofil eines Virusträgers wird an Nachbarn gesandt
Insgesamt wurden mehr als 270.000 Menschen auf das Corona-19-Virus untersucht, was bei 51 Millionen Einwohnern über 5200 Tests pro einer Million Südkoreaner entspricht (dazu wurden landesweit auch 50 Drive-in-Teststationen eingerichtet). Das ist laut dem Internetportal „Worldometer“ mehr als in jedem anderen Land der Welt, ausgenommen das kleine Bahrein. In den USA dagegen wurden der Gesundheitsbehörde CDC zufolge gerade 74 Personen pro einer Million Einwohner getestet. Für Deutschland erklärte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, es habe in der vergangenen Woche allein bei kassenärztlichen Laboren mehr als 100.000 Tests gegeben.
Einige Bezirke teilen sogar mit, welche Räume innerhalb eines Gebäudes ein Virusträger aufgesucht hat, und ob er dabei eine Gesichtsmaske trug. Selbst Aufenthalte in „love motels“ wurden schon gemeldet. Mittlerweile sammeln und verbreiten zahlreiche Apps und Internetseiten solche Daten und Karten, sie abzurufen gehört für viele Südkoreaner längst zum Alltag.
Die Maßnahmen könnten für andere Länder vorbildlich sein
Ob der Erfolg anhalten wird, ist indes unklar. Denn der drastische Rückgang der Fallzahlen steht mit einer Häufung der Ansteckungen in der sogenannten Shincheonji-Kirche in Verbindung. Rund 5000 Mitglieder dieser messianischen Sekte erwiesen sich als infiziert, was 60 Prozent aller Fälle in Südkorea entspricht. Die 130 „Krankheitsdetektive“ des KCDC kamen kaum hinterher. In einer herkulischen Anstrengung spürten die Behörden die Betroffenen aber doch auf, um sie zu isolieren und so weitere Ansteckungen zu verhindern.
Die Maßnahmen könnten für andere Länder vorbildlich sein. „Große diagnostische Kapazitäten sind der Schlüssel zur Kontrolle der Epidemie“, konstatiert die Seuchenexpertin Raina MacIntyre von der australischen University of New South Wales in Sydney in „Science“. „Aber auch die Verfolgung von Kontakten sowie die Isolierung haben großen Einfluss.“
Doch ob sie der Weisheit letzter Schluss sind, ist offen. „Aufgrund der Shincheonji-Aktion haben wir nicht genau auf andere Teile Südkoreas geschaut“, bekennt der Epidemiologe Oh Myoung-Don von der Seoul National University. Tatsächlich gibt es bereits neue Häufungen von Fällen. So entdeckten die Behörden in der vergangenen Woche 129 Neuinfektionen, die mit einem Callcenter in Seoul in Verbindung stehen.
Infektiologen fürchten nun, dies könne der Beginn eines Ausbruchs in der Stadt und ihrer Umgebung sein. Dort leben 23 Millionen Menschen. Mittlerweile forderte der Bürgermeister der Metropole Karaokebars, Cafés und Klubs auf, den Betrieb einzustellen.
In einem weiteren Cluster-Ausbruch in Daegu hatten sich zuletzt den Angaben zufolge in einem Pflegeheim für Senioren in Daegu mehr als 70 Insassen und Pfleger mit dem neuartigen Coronavirus angesteckt.
„Die MERS-Erfahrung hat uns sicher geholfen, Hospital-Infektionen zu vermeiden“
Nun hofft die Regierung, die Verbreitung des Erregers auf die gleiche Weise kontrollieren zu können wie bei der Sekte. Dazu wurde die Testkapazität landesweit erhöht, auf 15.000 mögliche Untersuchungen pro Tag. Zudem beschaffte Südkoreas Innenministerium eine Handy-App, die in Quarantäne befindliche Menschen überwachen und Daten zu Symptomen aufzeichnen kann.
Dabei sollen drakonische Strafen Betroffene dazu bringen, zu kooperieren: Quarantäneverletztern droht eine Geldbuße von drei Millionen Won (ca. 2500 US-Dollar). Ein neuer Gesetzentwurf sieht sogar bis zu zehn Millionen Won vor, dazu ein Jahr Gefängnis.
Wie wichtig solche Maßnahmen sind, musste Südkorea auf die harte Tour lernen. Im Jahr 2015 schleppte ein Geschäftsmann das „Middle East Respiratory Syndrome“ (MERS) ein. Bevor die Krankheit bei ihm diagnostiziert wurde, hatte er 186 Menschen angesteckt – darunter viele Mitarbeiter des Gesundheitswesens –, von denen 36 starben.
Danach wurden 17.000 Südkoreaner getestet und gegebenenfalls isoliert, was die Epidemie nach zwei Monaten beendete. „Die MERS-Erfahrung hat uns sicher geholfen, Hospital-Infektionen zu vermeiden“, urteilt Epidemiologe Oh. Tatsächlich wurde im Land aktuell kein Gesundheitsarbeiter infiziert.
Behörden sammeln Handy-, Kreditkarten- und weitere Daten
Natürlich werden auch die üblichen Sicherheitsregeln wie Händewaschen, soziale Distanz, das Tragen von Gesichtsmasken, Heimarbeit, der online-Besuch von Gottesdiensten statt persönlicher Anwesenheit und Ähnliches mehr propagiert. Zudem sammeln die Behörden Handy-, Kreditkarten– und weitere Daten von infizierten Personen, um ihren Aufenthaltsort zu bestimmen.
Epidemiologen erhoffen sich davon ausreichend detaillierte Informationen, um Infektionsketten und damit die Ausbreitung des Virus noch genauer modellieren zu können.
Einigen Menschenrechtsaktivisten geht diese Sammelwut zu weit. Sie seien so detailliert, dass Betroffene leicht zu identifizieren sind, argumentieren sie. Dies könne zu einem sozialen Stigma führen und manche Menschen davon abhalten, sich testen zu lassen.
„Die breite Öffentlichkeit unterstützt die Veröffentlichung der persönlichen Bewegungen durch die Regierung“, hält der Gesundheitsexperte Youngkee Ju von der Hallym University in Chuncheon im Fachjournal „Nature“ dagegen. Dies habe eine Umfrage mit über 1000 Teilnehmern ergeben.
Offenbar siegt in Südkorea wie auch in anderen asiatischen Ländern der Gemeinsinn über Egoismus und Bequemlichkeit. Daneben zeigt Südkorea auch, wie eine Demokratie auf die bedrohliche Epidemie reagieren kann, der andere Länder mit der Einschränkung bürgerlicher Freiheiten begegnen, nämlich mit Transparenz und dem groß angelegten Einsatz von Medizintechnik – ganz wie es Infektiologe Kim von der Korea University gesagt hat. Damit wird das Land doch noch zu einem globalen Vorbild.
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